"Allerhand auf Immenhof"

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Andrea1984
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Kapitel 436

Beitrag von Andrea1984 »

Am späten Nachmittag fuhren Dick und Bobby auf den Immenhof, während Hasso in Hamburg bei seinem Vater blieb, um ihm beizustehen. Selbstverständlich meldete sich Dick zuvor bei Ralf ab, damit er sich keine Sorgen machen brauchte. Ein paar Stunden, notfalls auch ein paar Tage, je nach dem, könne er ja auch alleine zurechtkommen. So schwer sei es ja nun auch wieder nicht, sich ein Brot herunterzuschneiden oder die Suppe, die noch von gestern übrig war, aufzuwärmen.

„Danke, dass du mir hilfst.“
„Dafür sind Freunde doch da.“, versicherte Dick. Sie redete wenig, da sie sich auf das Autofahren konzentrieren musste, das besonders bei diesem regnerischem Wetter ein Risiko darstellte.
„Billy weiß auch Bescheid. Ich habe ihr gleich heute Morgen davon erzählt.“
„Wird sie zur Beerdigung deiner Schwiegermutter kommen?“
„Ich weiß es noch nicht. Eher nicht. Doch mit der Planung der Beerdigung habe ich wenig zu tun. Das erledigen alles Hasso und sein Vater. Die schaffen das schon, irgendwie.“

Auf dem Immenhof erwartete Dick nicht nur Alexander, mit dem sie rechnen musste, sondern eine Überraschung in Gestalt von Dalli, die gerade an einer der Koppeln lehnte und eine Zigarette rauchte. Direkt daneben standen Daniela, Sandra und Patrick. Wo sich Marion, Walter und Anja aufhielten, wusste Dick nicht, vermutete es nur. Sie konnten entweder im Haus oder im Stall sein.

„Oma, Oma, Oma!“, rief Patrick und tanzte um Dalli herum. Er freute sich offenbar über etwas.
„Sie ist nicht unsere Oma.“, mischte sich nun plötzlich Daniela ein. Patrick hielt verwirrt im Tanzen inne. „Natürlich ist sie unsere Oma. Wer denn sonst? Um unsere Mutter sein zu können, ist sie zu alt.“
Sandra unterstützte ihre Zwillingsschwester wie selbstverständlich: „Dalli ist unsere – wenn es denn sowas gibt – Stiefoma. Du weißt doch genau, dass unsere Mutti ihre richtige Mutter nie gekannt hat.“
Patrick leuchtete diese Erklärung ein. Dann meinte er: „Besser eine Stiefoma, als gar keine Oma.“
„Wir haben doch eine Oma gehabt. Leider ist sie heute gestorben.“, meinte eine der Zwillinge. Dick konnte die beiden Mädchen beim besten Willen nicht auseinanderhalten, so sehr sie sich bemühte. Selbst vorhin war sie sich nicht hundertprozentig sicher gewesen, da auch die Stimmen sehr identisch klangen.

„So schnell werde ich also befördert.“, ergriff nun Dalli in einem neutralen Tonfall das Wort,
„Hast du uns etwas mitgebracht?“
„Das fragt man nicht.“, Bobbys Stimme klang ungewöhnlich streng. „Gerade heute ist diese Frage mehr als unpassend. Kommt jetzt mit mir, wir gehen nach drinnen.“
„Wir möchten aber …“
„Genug. Ihr habt heute nichts zu mögen.“, Bobby schrie es beinahe.
Dick unterdrückte mühsam ein Lachen. Irgendwie stand sie auf der Seite der Kinder, die man ja schon beinahe nicht mehr als solche bezeichnen konnte, zeigte aber auch Verständnis für Bobby, der irgendwann einmal die Nerven rissen, besonders wenn sich die Kinder jeden Tag so verhielten.

Patricks Verhalten wunderte Dick auch ein wenig, doch sie stellte keine Fragen hierzu. Vermutlich stand er unter Schock oder er freute sich wirklich, Dalli zu sehen.
„Erst Anna und jetzt auch noch Patrick. Irgendwie erinnert mich Dalli an den Rattenfänger von Hameln.“, Dick war froh, dass Dalli ihre Gedanken nicht lesen konnte.
Bobby und ihre großen Kinder waren im Haus verschwunden.
„Bleibst du länger hier? Oder vielmehr solange, wie dein Freund dich entbehren kann?“
„Das geht dich gar nichts an.“, gab Dalli zurück. „Ich habe hier das Wohnrecht, wie du.“
Dick hob und senkte die Schultern, wählte diese mehrdeutige Geste absichtlich.
„Was hast du vor? Gehst du ausreiten?“
„Ja, wenn Ole mir ein passendes Pferd gesattelt hat.“
„Der Regen stört dich nicht.“
„Es gibt kein unpassendes Wetter, nur unpassende Kleidung.“, behielt Dalli das letzte Wort.

Im nächsten Moment kam Ole aus dem Stall, Rasputin am Zügel führend, der bereits gesattelt und gezäumt war. Dalli nickte Ole zu, stieg in den Sattel, nahm die Zügel auf und ritt durch das Tor.
Dick schüttelte den Kopf über Dallis Verhalten.
„Die Seejungfrau ist alt genug, um zu wissen, was sie tut. Der gnädige Herr ist auch dagegen.“
„Schon gut, Ole, du musst dich nicht rechtfertigen.“, Dick hatte das Gefühl, den treuen Knecht in Schutz nehmen zu müssen, besonders nachdem Dalli ihn so grob und unhöflich behandelt hatte.
„Oh, der Chef hat gerufen. Ich muss zurück an die Arbeit.“, Ole lächelte kurz. Dick erwiderte die Geste, ging dann nach drinnen, wo es um einige Grade wärmer als draußen vor der Türe war.
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Andrea1984
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Kapitel 437

Beitrag von Andrea1984 »

Im Wohnzimmer war die ganze Familie, bis auf Stine, versammelt. Dick begrüßte zuerst Alexander, dann seine Kinder und zuguterletzt die kleineren Kinder von Bobby.
„Ja, nun haben wir die ganze Menagerie beisammen. Das kommt nicht alle Tage vor. Billys Familie lebt leider so weit weg.“, Alexander senkte die Mundwinkel, als ob er enttäuscht oder traurig wäre.
„Nicht weinen, Großvati, du hast ja uns.“, meinte Walter auf dem Boden vor den Ohrensessel mit Bauklötzen spielte. „Wir sind ja da. Ich habe dich doch lieb.“
„Ich dich auch, mein Spatz.“, Alexander bückte sich, um den Jungen hochzuheben. „Du bist ganz schön schwer geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe.“
„Ist ja gar nicht wahr.“, Walter schmollte oder tat zumindest so als ob. Genau konnte Dick das nicht erkennen.
Alexander scherzte mit seinen Enkelkindern, als ob er sein Lebtag lang nichts anderes getan hatte. Dick sah in Ruhe dabei zu, stellte sich Ralf in einer ähnlichen Rolle vor. Allzu bald würden auch ihre Enkelkinder groß sein. Dick verdrängte den aufkommenden Gedanken daran rasch wieder.

Durch das fröhliche Geplauder der Kinder, die entweder unter Schock standen oder den Verlust ihrer Großmutter noch nicht bewusst erfassen konnten, wandelte sich langsam auch Bobbys Miene wieder.
Dick ging nach draußen, vor die Türe, um eine Zigarette zu rauchen. In Gegenwart von Kindern tat sie es nicht, aus Respekt den Kleinen gegenüber.
„Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Ja immer doch Bobby. Deine Kinder sind schon richtig groß geworden.“
„Ich habe mir große Mühe gegeben, sie gut zu erziehen. Oder vielmehr Hasso und ich haben unser bestes gegeben. Doch jetzt kommen die Zwillinge und auch Patrick allmählich in die Flegeljahre.“
„Da muss jeder einmal durch. Wenn du willst, kannst du dir jederzeit Ratschläge von mir holen.“
„Patrick ist beinahe eifersüchtig auf Walter.“
„Die beiden können nicht viel miteinander anfangen, da sie ja doch einige Jahre auseinander sind.“
„Fast 7 Jahre, um genau zu sein. Dabei hat sich Patrick immer einen kleinen Bruder gewünscht. Er meinte neulich sogar, er wollte ihn umtauschen. Ich sagte ihm, das ginge nicht, die Garantie sei schon abgelaufen.“
Dick unterdrückte mühsam ein Lachen. Wie kam Bobby nur auf solche Einfälle?
„Deine Schwiegermutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie davon wüsste.“
„Oh das dauert noch ein wenig. Sie wird erst in 8 Tagen beisetzt. Ich weiß auch nicht, warum das solange dauert. Vielleicht hat das rechtliche Gründe oder organisatorische, das müsste ich Hasso fragen. Der weiß alles und ist soviel klüger als ich, so dass ich mir neben ihm dumm vorkomme.“
„Lass deinen Mann in dem Glauben und er frisst dir aus der Hand.“, schmunzelte Dick. „So habe ich es in den vielen Jahren unserer Ehe auch gehandhabt. Diesen Tipp habe von meinen Schwiegereltern bekommen.“
Bobby stiegen die Tränen in die Augen.
„Oh, tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen.“
„Das macht doch nichts. Ich bin heute, nicht nur wegen des Todes meiner Schwiegermutter nahe am Wasser gebaut. Du weißt ja warum oder kannst es dir denken.“
„Auch das noch. Wenn alles zusammen kommt, dann kommt es aber knüppeldick, wie.“

Dick dämpfte die Zigarette aus, nahm dann Bobby behutsam in die Arme.
„Ich brauche das einfach. Danke nocheinmal für alles.“
Dick erzählte nun die Geschichte, wie sie damals in Kanada mit Billy gemeinsam im Stall gesessen und Trost weitergegeben hatte.
„Die Geschichte kenne ich ja noch gar nicht. Da muss ich doch glatt Billy einmal auf den Zahn fühlen.“
„Gib acht, dass du dabei keinen Nerv triffst.“
„Keine Sorge. Billy und ich verstehen uns auch ohne Worte. Bei Daniela und Sandra ist das irgendwie ähnlich. Oft verhalten sich die beiden ruhig, so dass ich nach dem rechten sehe, was die beiden in ihrem Zimmer da eigentlich tun, anstatt zu lernen. Sie behaupten dann, sie würden sich nur durch Gedanken verständigen.“
„Was findest du daran kurios? Mit Billy kannst du es doch ebenso. Jetzt weißt du, wie es deinem Vati ergangen ist, wenn er Billy und dich einst beobachtet und nicht verstanden hat.“
„Das stimmt: Nun sehe ich alles aus einer anderen Perspektive. Auch wenn mir die Kinder ab und an Sorgen bereiten, so möchte ich keines von ihnen missen, nicht einen Augenblick lang.“
„Möchten Hasso und du, dass sich eure Zwillinge auch einmal trennen, sei es für ein Jahre oder länger, damit sie selbständig werden und nicht immer nur aneinander hängen?“
„Die Idee ist gut, doch: Wohin mit den beiden? Soviele Kontakte habe ich nicht und davon sind alle hier in Deutschland. Außerdem haben wir ja noch einige Jahre Zeit, bis es wirklich soweit ist.“
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Kapitel 438

Beitrag von Andrea1984 »

„Die Zeit vergeht so schnell.“, seufzte Dick leise. „Was die Kontakte angeht, so kann ich dir vielleicht weiterhelfen. Das heißt, nicht nur ich alleine, sondern auch Ralf. Wir haben ja einige Freunde in Kanada, wie du ja möglicherweise schon weißt.“
„Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder, dass Billy mir davon erzählt hat.“, Bobby rieb sich mit dem linken Zeigefinger die Nase, was Dick unwillkürlich zum Lachen brachte. „Wie wäre es, in kleineren Maßstäben zu denken? Es muss ja nicht immer oder nicht nur Amerika sein, England tut es ja auch.“
„Da kennst du aber niemanden, außer Hasso hat berufliche Kontakte dorthin.“
„Eben. Wenn dann nur berufliche. Hasso redet allerdings, schon aus Datenschutzgründen, nur wenig über seine Arbeit. Wenn also der Bundeskanzler ein Konto just bei dieser Bank hätte, bei der Hasso arbeitet, so wäre das durchaus möglich und niemand, außer den Angestellten würde es erfahren.“

„Ich störe euer Plauderstündchen nur ungern …“, ein blonder Schopf streckte sich durch die Haustüre. „… doch Vati schickt mich. Das Abendessen ist fertig. Ihr bleibt doch hier, so hat er gemeint. Essen ist genug für alle da. Und falls doch etwas übrig bleiben sollte, so geben wir es eben den Ponys.“
„Ach du bist es, Henny?“, Bobby drehte ihren Kopf in die entsprechende Richtung.
Dick musterte Henny unauffällig. Vom Aussehen her, kam sie ganz nach Dalli, allerdings trug sie ihre Locken nicht offen, sondern zu einem straffen Zopf geflochten, der über ihre rechte Schulter baumelte.
„Ja, wir kommen schon. Ob im Esszimmer wohl genügend Platz für alle ist?“
„Wenn alle Stricke reißen, müssen wir eben in zwei Gruppen zu Tisch gehen.“, meinte Alexander, der höflich, so empfand es Dick, die Türe aufhielt. „Sind deine Kinder schon groß genug, um bei den Erwachsenen sitzen zu können?“
„Meine Zwillinge schon, Patrick vielleicht auch. Aber die kleinen ganz bestimmt nicht. Da werde ich dann lieber selbst nach dem rechten sehen.“, antwortete Bobby, trat die Füße auf der Matte ab.

Dick ging rasch nach oben, um sich die Hände zu waschen. Auf dem Weg ins Badezimmer blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen, als sie Dallis Stimme hörte.
„Nanu? Wie ist sie denn so schnell wieder ins Haus gekommen? Ich hätte sie doch gesehen. Vermutlich hat sie den Nebeneingang, der über die Küche, ins Haus führt, benützt.“
Dick wollte gerade ihren Weg fortsetzen, als sie etwas belauschte, das sie kaum fassen konnte.
„Rafe muss Henny heiraten …. Warum? Weil er der nächste Erbe des Immenhofs und derzeit noch ungebunden ist … Dann komme ich wieder zurück, auf den Hof, der mir rechtlich zusteht … Chrissy ist noch viel zu jung für Rafe und außerdem steht sie in der Erbfolge weiter hinten …“
Dick verstand nicht, mit wem Dalli redete, hatte allerdings einen leisen Verdacht.
„Entweder sie bespricht alles persönlich mit ihrem Freund oder wem auch immer oder sie plaudert mit ihm am Telephon. Was soll ich tun? Zugeben, dass ich gelauscht habe? Oder so tun, als wenn nichts gewesen wäre? So oder so, habe ich wohl gerade den Schwarzen Peter gezogen und wie.“

Nach außen hin ließ sich Dick nichts anmerken. Weder beim Abendessen, noch beim späteren Aufenthalt im Wohnzimmer, wo es sichtlich ruhiger zuging. Bobby brachte die Kinder zu Bett, Henny behauptete, sie müsse noch Schulaufgaben machen. Chrissy wäre gerne noch im Wohnzimmer geblieben, wie sie lautstark verkündete, aber Alexander sprach ein Machtwort.
Dick hielt sich aus dieser Sache heraus und fand insgeheim, dass Alexander, wenn er wollte, durchaus streng sein konnte. Was bei einer großen Kinderschar nur allzu verständlich war.

Noch am gleichen Abend kam Sigrid zu Besuch. Alleine und doch wiederum nicht, da sie wieder guter Hoffnung war, wie sie stolz verkündete. Anfang November sollte es diesmal soweit sein.
„Ich lasse euch alleine. Ihr seid ja schon groß und stellt mir ja nichts an.“, Alexander stand auf, gähnte kurz. „Habt eine Gute Nacht. Wenn ihr etwas braucht, so könnt ihr jederzeit nach Stine klingeln.“
Dick wünschte ihrem Schwager ebenfalls eine Gute Nacht, wie es sich gehört.
Sigrid ging auf Alexander zu. Es sah aus, als wollte sie ihm den Weg versperren. Sie sagte etwas, dass Dick, die nahe beim Kamin saß, nicht genau verstehen konnte. Alexanders Mundwinkel zuckten. Wollte er auf diese Weise das Lachen oder das Weinen unterdrücken? Sigrid gab Alexander einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Alexander nickte kurz, als ob ihm diese Geste nur recht sei. Dann verließ er das Wohnzimmer.

Obwohl oder gerade weil schon Sommer auf dem Kalender stand, waren die Nächte kalt. Dick schlang ihre Arme um den Körper, um sich auf diese Weise zu wärmen.
„Wird es deinem Vater nicht zuviel? Der Haushalt, die Kinder und die Arbeit?“
„Für die Arbeit haben wir inzwischen einige Angestellte. Der Laden läuft recht gut.“
„Wohin läuft er denn?“, neckte Dick.
„Bis nach Wuppertal und wieder zurück.“, gab Sigrid, die gerade in dem zweiten Ohrensessel Platz nahm, schmunzelnd Kontra. „Wer hätte das einmal gedacht, dass der Laden eine Goldgrube wird.“
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Kapitel 439

Beitrag von Andrea1984 »

„Ihr könnt also davon leben, was der Laden so abwirft?“, hakte Dick aus ehrlichem Interesse nach.
„Ja, so ist es. Mein Vater hat den Grundstein dazu vor bald 45 Jahren gelegt, weil es ihm Freude macht, Kunden zu betreuen und Reisen zu vermitteln, auch wenn er selbst nichts davon hat. Alles, was wir verdienen, stecken wir entweder in die Kinder oder ins Haus. Ab und an muss dort etwas umgebaut oder renoviert werden, was sich nicht vermeiden lässt. Neulich haben wir, dass heißt zwei Handwerker, die Fassade neu gestrichen. Fenster öffnen ist daher unmöglich gewesen.“

Dick fand es seltsam, nach Stine zu klingeln, tat es aber dann, weil der Durst größer als der Stolz geworden war. Für einen zweiten Kaffee war es schon zu spät, doch zu einem Glas Limonade sagte Dick nicht nein und konnte auch Sigrid dazu überreden, dieses zu sich zu nehmen.
Kaum hatte Stine das Wohnzimmer verlassen, bekamen Dick und Sigrid Gesellschaft in Form von Bobby.
„Endlich sind die Kinder im Bett. Das kostet mich jedemal viele Nerven.“, Bobby zupfte an ihren Haaren herum. „Da ist ja schon das erste graue Haar. Nicht zu fassen.“
„Das hast du alles nur deinen Kindern zu verdanken. Mir geht es ja ähnlich. Allerdings färbe ich mein Haare oder vielmehr lasse sie von einer Friseurin färben.“, verriet Sigrid lächelnd.
„Echt? Ich hätte dir das gar nicht zugetraut.“, Bobby ließ sich, da die Ohrensessel bereits besetzt waren, auf das Sofa fallen, legte die Beine hoch. „Uff, jetzt geht es mir schon wieder besser.“

„Wie ist das mit den Schlafmöglichkeiten für die Kinder hier? Ich verstehe nur Bahnhof.“
„Pass auf, ich will es dir erklären: Henny und Chrissy teilen sich, nur für diese Nacht, das alte Zimmer, in welchem Billy und ich früher geschlafen haben. Daniela und Sandra haben ihr Nachtlager im ehemaligen Gästezimmer aufgeschlagen. Patrick und Walter teilen sich eines der neuen Zimmer, in der Nähe des Torhauses. Marion und Anja ebenso. Für ein oder zwei Tage oder Nächte wird das schon gehen. Alle vier Mädels in ein Zimmer stecken, das ist, aufgrund der unterschiedlichen Schlafrhythmen nicht möglich. Ich habe es auch nie wirklich versucht. Die Großen würden es vielleicht noch tolerieren, da sie einen tiefen Schlaf haben. Aber Marion hat derzeit eine zickige Phase.“

„Ähnlich wie Katja, die ja in ihrem Alter ist.“, ergänzte Sigrid. „Dann kann ich nur hoffen, dass Inge oder Franz etwas pflegeleichter wird.“
„Inge? Franz?“, Bobby prustete erst, dann lachte sie. „So heißen doch nur ganz alte Leute. Jedenfalls habe ich, wenn irgendwo eine Mutter ihr Kind mit diesem Namen ruft, ständig die Assoziation der etwas älteren Damen und Herren vor Augen. Ich weiß allerdings nicht warum.“
„Berti klingt besser.“, brachte Dick einen Namensvorschlag auf das Tapet.
„Mein Kind ist doch kein Mainzelmännchen.“, Sigrid schnaubte enrüstet.
„Wie wäre es mit Herbert oder Martha?“
„Warum nicht gleich Justine, wie eine der Figuren aus dem Roman „Die Dornenvögel?“, ergänzte Bobby.
„Das ist mir zu modern. Dann schon eher Martha, wenn es unbedingt sein muss, doch ich habe ja noch 18 Wochen, bis das Baby kommt oder vielmehr kommen sollte. Meine Kinder sind fast alle über dem errechnten Termin gewesen. Habt ihr eine Ahnung, woran das liegen könnte?“
Bobby meinte, bei ihr sei es, fast umgekehrt gewesen. Die Zwillinge rund eine Woche zu früh, Walter ebenso. Patrick, Marion und Anja hingegen hätten sich deutlich Zeit gelassen.
„Drinnen geblieben ist noch keines.“
Wieder lachte Bobby, steckte Dick und Sigrid damit an.
„Wie wahr. Rafe hat es überhaupt nicht eilig gehabt, das Licht der Welt zu erblicken. So ein Faulpelz. Anna ist, so ich mich nicht irre, ein paar Tage zu früh gekommen. Margot glaube ich sogar direkt am errechnten Termin.“, ergänzte Dick, die froh war, zu diesem Thema etwas beitragen zu können.

Das fröhliche Geplauder wurde kurz von Stine unterbrochen, welche die Limonade brachte.
„Setz dich doch zu uns. Es ist genügend Platz vorhanden.“, bot Dick an.
„Danke nein, gnädige Frau. Ich habe noch zu arbeiten.“
„Strümpfe stopfen kannst du auch hier, wo es viel gemütlicher als in der Küche ist.“
„Ich werde es mir überlegen, gnädige Frau.“, ein kurzer Knicks, schon war Stine wieder gegangen.

„Wie kann sich jemand nur so abhängig von den anderen Menschen machen? Ich verstehe das nicht. Egal, was auch geschieht: Stine bleibt immer freundlich und fröhlich und lässt sich das Herumkommandiert werden auch noch gefallen.“, kam es verwundert von Sigrids Lippen.
„Hast du sie einmal danach gefragt?“
„Ja, aber sie hat mir nichts erzählt.“, antwortete Sigrid, nippte dann kurz an ihrer Limonade.
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Kapitel 440

Beitrag von Andrea1984 »

„Wohin Stine wohl geht, wenn sie Kummer und Sorgen hat?“, wollte Bobby wissen.
„Zu den Pferden.“, vermutete Dick. „Die hören ihr zu, ohne Fragen zu stellen.“
„An diese Möglichkeit habe ich nicht gedacht, also den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.“
„Apropos Wald: Reiten wir morgen im Wald aus oder musst du, mit deinen Kindern wieder zurück nach Hamburg?“
„Wie wäre es mit einem Kompromiss: Die größeren Kinder reiten mit uns, während die kleineren hier auf dem Immenhof bleiben. Es ist ja nur für eine halbe Stunde oder eine Stunde, je nach Witterung.“
„Schade, dass ich nicht mit euch ausreiten kann. Oh, ist es schon so spät. Ich muss mich loseisen, meine Kinder warten auf mich.“

Bereits am nächsten Tag setzten Dick und Bobby ihre Idee in die Tat um. Dick stellte fest, dass Daniela und Sandra recht gut reiten konnten, während Patrick noch etwas unsicher wirkte, sich jedoch Mühe gab, seine Unsicherheit nicht anzumerken. Alle Kinder trugen selbstverständlich Reithelme.
Aufgrund der nassen Wege bevorzugte Dick eher eine ruhigere Gangart, schlug nur selten einmal einen schnellen Trab ein, um die Tiere nicht unnötig zu belasten. Bei der Stallarbeit, die nach dem Ausritt, wie selbstverständlich auf dem Plan stand, durfte Dick nicht mithelfen,so gerne, sie das auch getan hätte. Ole meinte, er käme schon alleine zurecht, es sei ja seine Aufgabe.

Nach dem Mittagessen brachen Bobby und ihre Kinder nach Hamburg auf. Dick hingegen blieb noch auf dem Immenhof, um einige geschäftliche Punkte mit Alexander zu besprechen.
„Hast du Dalli heute schon gesehen?“
„Sie ist bereits gestern Abend abgereist. Das hat mir Stine erzählt, die es wiederum von Ole weiß, der Dalli wegfahren gesehen hat.“, antwortete Alexander, sortierte einige Papiere, die auf dem Schreibtisch lagen.
Dick erwähnte, was Dalli damals in Eltville gesagt hatte, bezüglich des Hinausgeworfen werdens.
„Das ist ihre Sicht der Dinge. Ich bin ja gutmütig und kann vieles verzeihen. Aber irgendwo gibt es auch bei mir eine Grenze.“
„Ich dachte, du liebst Dalli oder hast sie einmal geliebt?“, hakte Dick nach.
„Nicht mehr so, wie früher. Zumindest sage ich es ihr nicht offen, sie würde es mir nicht glauben.“
„Was meinst du, was sie von dir hält?“
„Sie hat mich doch nur ausgenützt, damit sie ein paar Kinder bekommen kann.“, murmelte Alexander in seinen nicht vorhandenen Bart, der heute, wie Dick wohlwollend erkennen konnte, glatt rasiert war.
„Ein Kind hätte sie ja auch von ihrem Freund oder wie auch immer, haben können.“
„Warum hat sie das nicht gleich getan? Dann wäre ihr und mir viel Ärger erspart geblieben.“. Alexander stand auf, ging hinüber zum Aktenschrank, um eine Aktenmappe herauszukramen.

„Eigentlich habt ihr euch nichts vorzuwerfen: Du bist fremdgegangen und sie ist fremdgegangen, wobei mir noch nicht klar ist, wer da die Henne und wer das Ei ist.“
„Ich lasse mich nicht scheiden. Dann hätte Dalli ihren Willen bekommen und müsste sich auch weiterhin vor der Verantwortung drücken, die sie hat. Weniger mir, sondern mehr ihren Töchtern gegenüber.“
„Von mir aus kann Dalli jederzeit hier ein- und ausgehen, aber nur als Gast, als Besuch, wie immer du es nennst. Ein festes Wohnrecht hat sie nicht oder vielmehr nicht mehr.“, verriet Dick einen Teil ihres Planes, den sie bereits vor einiger Zeit ausgearbeitet hatte. „Ich habe alles schriftlich festlegen und von einem Notar beglaubigen lassen, sogar mit neutralen Zeugen.“

Alexander verriet, dass er gestern etwas gehört habe: „Dalli ist in diesem Jahr nur wenig verreist, weniger als sonst. Sie meint es offenbar wirklich ernst damit, ihre Arbeit als Konferenzdolmetscherin niederzulegen und ihren Ruhestand auf dem Immenhof zu genießen.“
„Dalli ist jünger als ich, da kann von Ruhestand noch keine Rede sein.“, Dick biss sich auf die Unterlippe. Jetzt war genau das geschehen, was sie eigentlich nicht gewollte hatte, nämlich Dalli in Schutz zu nehmen, wenn auch nur für einen Augenblick. „Ersteres kann sie halten, wie sie will, das betrifft mich nicht. Letzteres aber wird nicht so einfach sein, wie sie sich das vorgestellt hat.“

„Habe ich dich jetzt gekränkt?“
„Nein, nein. Ich finde mich nur ungern damit ab, älter zu werden, doch es muss irgendwie sein. Was bleibt mir auch anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und beruflich kürzer zu treten.“
„Willst du das oder hat Ralf es so bestimmt?“, Alexander stopfte seine Pfeife, zog kurz daran.
„Beides. Ich bin wirklich froh, einmal einen Tag oder zwei Tage die Arbeit ruhen zu lassen.“, Dick berichtete weiter, wie es ihren Enkelkindern gehe, welche oft zu Besuch kämen oder von ihr besucht werden, obwohl sie noch sehr klein seien. Auf diese Weise verging der Nachmittag wie im Flug.
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Kapitel 441

Beitrag von Andrea1984 »

Nicht nur jener, sondern auch die nächsten Wochen und Monate. Dick stellte fest, wie gut es ihr tat, einmal die Arbeit ruhen oder den Angestellten zu über lassen und an sich, nur an sich zu denken. Sie blühte auf, legte ein paar Kilo an Gewicht zu, doch das kümmerte sie wenig. Als eine Großmutter durfte sie sich diese kleine Schwäche durchaus erlauben. Dick war zufällig dabei, als Eric das erste Wort sagte. Nicht „Mama“ oder „Papa“, sondern „Oma“. Ja, Kindermund tat Wahrheit kund. Dick stellte lobend fest, dass Anna und John ihre beiden Söhne zweisprachig erzogen. Anna verwendete ihre deutsche Muttersprache, John seine englische. Im Gespräch zu zweit, ohne Kinder in der Nähe, überwog die deutsche Sprache, die John, zwar nicht akzent - so doch fehlerfrei beherrschte.

Christoph hingegen sprach nur wenig. Wenn er etwas haben wollte, so deutete er mit der Hand, oder mit einem Finger, darauf. Margot verstand immer, wer oder was gemeint war, schien sich offenbar Sorgen zu machen, weil ihr Sohn noch gar nicht reden wollte. Dick tröstete ihre jüngere Tochter und meinte, bei Jungs dauere es immer ein wenig, bis sie zu sprechen anfingen, das sei genetisch vorbestimmt. Christoph war auch sonst eher ruhig. Er konnte sich stundenlang alleine beschäftigen, einfach nur dasitzen, in einem Bilderbuch blättern oder mit Holzklötzchen spielen, während Gudrun immer beschäftigt werden wollte und quengelig wurde, sobald die Erwachsenen sie auch nur eine Minute aus den Augen ließen. Wie wohl das nächste Geschwisterchen der beiden werden würde?

Am 11. Oktober lag es dann in der Wiege: Ein weiteres Mädchen, dass das den Namen Ellen erhielt. Dick war, wie schon bei Christoph und Gudrun bei der Taufe, dabei, allerdings diesmal eher im Hintergrund haltend. Mit ihren blonden Haaren stach Ellen deutlich aus der Reihe ihrer Geschwister hervor. In diesem Fall hatten sich Eduards Gene durchgesetzt, wie Dick insgeheim feststellte.

Der Herbst brachte auch in Malente weiteren Nachwuchs. Am 06. November bekam Sigrid ihr Baby. Diesmal war es ein Junge, der jedoch klein und schwach zur Welt kam. Trotz aller Bemühungen der Ärzte und Kinderkrankenschwestern, die um sein Leben kämpften, hatten sie keine Chance. Der kleine Franz starb so leise und bescheiden, wie er die wenigen sechs Wochen seines Lebens verbracht hatte, am späten Abend des 20. Dezember schloss er seine blauen Augen für immer.

Auf Sigrids Wunsch blieb Dick lange in Malente, um bei ihr und den größeren Kindern nach dem rechten zu sehen. Sigrid gab sich ihrem Schmerz über den Tod ihres jüngeren Sohnes offen hin, aß wenig, trank wenig, weinte viel und verließ oft tagelang das Bett nicht.
„Es ist so ungerecht. Ich hätte Franz alles gegeben. Ein schönes Zuhause, liebevolle Geschwister. Warum habe ich ihn nicht behalten dürfen, während andere Frauen ihre Kinder, nach der Geburt weggeben oder einfach links liegen lassen?“
Dick saß bei Sigrid auf der Bettkante, reichte ein Taschentuch hinüber.
„Während der Schwangerschaft hat Franz mir nie Probleme bereitet. Im Gegenteil. Er hat schon früh getreten, um auf diese Weise seine Anwesenheit kundzutun. Es wäre schon alles vorbreitet gewesen.“
Sigrid schluckte, putzte ihre Nase, schluckte wieder. Die Tränen kullerten aus den Augen, rannen die Wangen hinunter und versickerten im rot-weiß karierten Kopfkissen.
Dick spürte, wie Sigrid ihr die Arme um den Hals warf, sich bei ihr ausweinte, Trost suchte.
„Was sagt Alexander dazu?“
„Das weiß ich nicht.“, Sigrids Stimme war nur noch ein flüstern.
„Wenn du willst, rufe ich ihn an.“
„Warum das?“
„Damit du deinen Schmerz mit ihm teilen kannst. Franz war ja auch sein Sohn.“
„An diese Möglichkeit habe ich gar nicht gedacht.“
„Kann ich dich solange alleine lassen?“, Dick blickte besorgt drein.
„Ja, ich werde versuchen, ein wenig zu schlafen.“, Sigrid löste sich von Dick, die hinüber ins Nebenzimmer, wo der Telephonapparat stand, ging.

Alexander war zwar telephonisch erreichbar, hatte allerdings jetzt keine Zeit. Er versprach, nach dem Ausritt, den er unternehmen musste, vorbeizukommen. Dick gab die Botschaft an Sigrid weiter.
„Jetzt erst recht.“
„Was meinst du damit?“, Dick verstand nur Bahnhof.
„Franz ist im Himmel. Doch ich will noch einen Sohn haben. Nicht um Franz zu vergessen, oh nein, sondern um allen zu zeigen, dass ich mich nicht unterkriegen lasse.“, Sigrid reckte ihr Kinn nach vorne.
„So gefällst du mir schon besser.“, Dick versuchte, ihre Freundin aufzumuntern, obwohl sie deren Entscheidung nicht gutheißen konnte.
„Sigrid ist alt genug, um zu wissen, was sie tut. Ob Alexander es noch einmal wagen wird?“
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Kapitel 442

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Dick besprach diese intime Angelegenheit aus Taktgefühl nicht mit Sigrid oder gar mit Alexander, sondern unter vier Augen mit Ralf, so wie sich die Gelegenheit dazu anbot.
„Das ist nicht unsere Sache. Uns kommt kein Urteil darüber zu.“
Dick kuschelte sich näher an ihren Mann heran, um sich zu wärmen. Draußen war es kalt. Kein Wunder, da der Kalender bereits Mitte Februar anzeigte. Schneeflocken fielen vom Himmel.
„Margot ist wieder schwanger. Diesmal soll es im August soweit sein.“, lenkte Dick vom Thema ab. „“Sie hat mir gestern, wie du noch in der Firma gewesen bist, am Telephon alles erzählt.“
„Ellen ist noch nicht einmal ein Jahr alt.“, Ralf tat so, als ob er etwas an den Fingern abzählen würde.
„Ich weiß. Margot hat gemeint, dass es für sie kein Hinderungsgrund ist. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass sie in ihrer Ehe richtig aufblüht. Ganz anders als früher, wo sie immer ein wenig im Schatten von Rafe und Anna gestanden ist.“

Dick zog die Bettdecke, die vorhin nach unten gerutscht war, wieder nach oben.
„Wie so oft, bin ich mit dir einer Meinung. Jetzt hat es Margot geschafft, ihren eigenen Weg zu gehen.“
„Heute können wir doch ein wenig länger aufbleiben. Ich bin noch gar nicht müde.“, scherzte Dick. Sie genoss die ruhigen Stunden in den Armen ihres Mannes sehr. Besonders den Vollzug der Ehe, in welchem nun nichts mehr geschehen konnte.
„Aber ich: Vergiss nicht, dass ich bald 60 werde.“, Ralf seufzte, als ob er Sorgen hätte.
„Bis dahin ist noch eine lange Zeit. Wenn ich es nicht besser wüsste, wie alt du bist, würde ich dich auf höchstens 50 Jahre schätzen.“
„Warum soll ich mich für jünger ausgeben, als ich bin?“, Ralf gähnte kurz. „Erinnerst du dich noch an den Artikel über die Firma in der Zeitung, von voriger Woche? Darin bin ich nicht nur namentlich, sondern auch mit der Altersangabe erwähnt worden, was mich doch ein wenig gestört hat.“
„Wollen wir es noch einmal versuchen? Oder ist es heute schon zu spät?“
„Dafür kann es nie zu spät sein.“
Obwohl es beinahe dunkel im Schlafzimmer war und nur das Licht einer Straßenlaterne durch den winzigen Spalt, der nicht von dem Vorhang verdeckt wurde, schimmerte, erkannte Dick, dass Ralf von einem Ohr zum anderen lächelte, als ob er sich wirklich freuen würde.

Dick stand kurz auf, um den Vorhang nun sorgfältig zu verschließen. Das Fenster lag zwar hoch genug, dass es nicht von der Straße aus eingesehen werden konnte, aber Dick mochte es nicht, bei dieser privaten Sache beobachtet zu werden.
„Darf ich meine kalten Füße bei dir wärmen?“
„Immer doch. Dafür bin ich ja auch da.“
„Verflixt, die Decke ist zu kurz für uns beide.“
„Kein Wunder, dass deine Füße herausgucken, wenn du deinen Oberkörper in die Decke einwickelst. Das müssen wir anders machen oder uns eine zweite Decke aus dem Schrank holen.“
„Ich bin zu faul, um aufzustehen.“, nur ungern löste Dick die Decke von ihren Schultern, wickelte sie aus und wieder neu zusammen. Erst nach einer Weile wurde ein passender Kompromiss gefunden.

NC 17

„Was meinst du: Ob auch Anna und John bald ein weiteres Baby bekommen werden?“
„Möglich wäre es schon. Doch derzeit hat Anna andere Pläne. Sie möchte auch beruflich tätig sein und nicht nur Hausfrau und Mutter.“, berichtete Ralf.
„Woher weißt du das?“
„Aus erster Hand von Anna und John, die mich neulich, mit den Kindern, in der Firma besucht haben, während du einkaufen gegangen bist.“
„Schade, dass ich die beiden oder vielmehr die vier verpasst habe.“
„Man kann nicht alles haben. Anna hat mir erzählt, was sie für Abenteuer beim Wickeln erlebt.“
Dick lachte kurz und erwähnte, was sie, noch vor Eric’s Geburt gesagt habe.

„Dein Wunsch ist offenbar in Erfüllung gegangen. Irgendwie kann ich mir Anna so gar nicht als Mutter einer Tochter vorstellen. Das übersteigt meine Phantasie.“
„Du meinst, weil Anna selbst früher ein halber Junge gewesen ist.“
„So in etwa, ja.“, Ralf legte die Bettdecke beiseite.
„Wohin gehst du?“, wollte Dick besorgt wissen.
„Hinüber ins Badezimmer.“, Ralf streckte sich wie ein Kater, der zulange in der Sonne gelegen hatte.
„Das freut mich, dann habe ich die weiche, kuschelige Bettdecke ganz für mich alleine.“
„Aber nur für ein paar Minuten. So jetzt muss ich wirklich laufen, sonst gibt es noch ein Unglück.“
„Die senile Bettflucht fängt bei dir schon an.“, neckte Dick, die sich diesen Tonfall erlauben durfte.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Do 24.Aug.2017 20:16, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 443

Beitrag von Andrea1984 »

Nur ungern gestand Dick ein, dass die senile Bettflucht nicht nur bei Ralf, sondern auch bei ihr selbst zutraf. Oft wollte sie schon um 05:00 Uhr morgens aufstehen, etwas erledigen, obwohl es noch viel zu früh dafür war. Dick sah in ihrem Fall die Gene, welche daran schuld waren. Oma Jantzen hatte es vorgelebt: Früh zu Bett, früh wieder auf, nur eine Mittagsruhe, kein Mittagsschlaf, gesunde Ernährung, viel frische Luft und Bewegung. Dazu war noch das Versorgen der Tiere gekommen. Schon früh hatte Dick daher gelernt, Verantwortung zu tragen: Nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere.

Inzwischen war sie froh darüber, dass ihre Kinder erwachsen waren und der mütterlichen Fürsorge nicht mehr so intensiv wie früher bedurften. Die Enkelkinder gab es zwar, aber sie hielten sich nur stundenweise hier auf und konnten somit, wenn sie schlimm waren oder wenn Dick einfach zuviel wurde, an die Eltern abgegeben werden. Dick war stolz auf ihre Töchter, auch wenn sie es nach außen hin nicht immer zeigte. Um Rafe hingegen sorgte sie sich schon mehr. Er war bald 30 und machte immer noch keine Anstalten zu heiraten oder eine Familie zu gründen. Stattdessen genoss er, wie Dick von Onkel Pankraz in einem Brief erfahren hatte, das gemütliche Leben eines Jungesellen.

„Rafe darf nicht vergessen, dass er der nächste Erbe des Immenhofs ist. Es wird Zeit, ihn diesbezüglich einmal in die Verantwortung zu nehmen. Gar nicht auszudenken, wenn Alexander oder Ralf oder mir etwas passieren und der Immenhof ohne einen Besitzer da stehen würde. So wie es sich ergibt, werde ich mit Rafe ein Gespräch unter vier Augen darüber führen.“, fasste Dick einen verspäteten Neujahrsvorsatz.

Allerdings standen diesem Gespräch mehrere Hindernisse im Weg: Zunächst einmal die Arbeit in der Firma und jene im Haushalt, die einfach nicht weniger wurde. Dick liebäugelte mit dem Gedanken eine Haushaltshilfe anzustellen, sei es auch nur für ein paar Stunden. Aber dann schalt sie sich selbst: Sie war jung und körperlich gut beieinander. Und es gehörte sich nun einmal für eine Frau, den Haushalt alleine zu führen. Außerdem war kein Geld vorhanden, um eine Haushaltshilfe bezahlen zu können. Dick ließ diesen Gedanken daher rasch wieder fallen, so sehr ihr jener auch behagt hätte.

Rafe hatte immer wieder die eine oder die andere Freundin gehabt. Von daher nahm Dick an, dass er sexuell normal veranlagt war. Woran lag es nur, dass er keine feste Freundin fand? An seinem Aussehen? Oder an seiner, bisweilen etwas arrogant wirkenden, Art, die ihn nach außen hin hart und distanziert wirken ließ, während er innerlich doch sensibel und weich war, wie der Umgang mit seiner Nichte und seinem Neffen bewies, die er alle vor kurzem hier besucht und mit ihnen gespielt hatte?

In Gedanken ging Dick alle Möglichkeiten durch: Rafe konnte, wenn er wollte, eine seiner Cousinen heiraten? Auf der Seite der Schüllers gab es ja genug davon. Bei der nächsten Familienfeier, die an Rafes‘ 30. Geburtstag, den dieser in Eltville verbrachte und die ganze Familie dazu einlud, versuchte Dick, ihren Sohn, unauffällig wie möglich, mit einer seiner Cousinen zusammenzubringen, dass er sich mit ihnen länger unterhielt oder sie zum Tanzen führte. Aber alle Versuche schlugen fehl. Rafe erklärte runderheraus, er fände die Mädchen zwar recht nett, aber sie seien nicht sein Typ. Das habe mit der Verwandtschaft nichts zu tun, doch er bevorzuge eher ruhige, sanftmütige Frauen.
Dick meinte, so eine werde er wohl nicht so rasch finden, jedenfalls nicht in der Familie.
Rafe erwiderte darauf, wenn er eine Frau, die von der Art her, Margot ähnle, fände, dann wolle er gleich heiraten. Aber er habe nicht viel Geld und daher das Thema Familienplanung beiseite gelegt.

Dick berichtete später Margot davon. Diese lachte nur: „Rafe hat einen guten Geschmack, dass muss man ihm lassen.“
„Meinst du das wirklich so?“
„Ja.“, Margot wurde wieder ernst. „Lass dir doch Zeit. Wenn Rafe die richtige gefunden hat, so wird er es uns schon sagen. Oder hast du Angst, dass er nach Amerika fliegt und in der Kapelle von Las Vegas heiratet?“
„Das traue ich ihm nicht zu.“, Dick fiel beinahe aus allen Wolken. „Wie geht es dir heute? Wird es dir nicht zuviel mit all den Kindern hier zu sein?“
„Es geht mir gut, ich fühle mich wohl. Hermann oder Martina entwickelt sich bis jetzt sehr gut.“
„Wie weit bist du?“
„Erst in der 13. Woche.“, verriet Margot. „Ende August ist es diesmal soweit. Ich freue mich auch auf dieses Kind und kann kaum erwarten, es endlich in den Armen halten zu dürfen.“
„Sieh nur, wie Rafe mit den Kindern spielt, als ob er sein Lebtag lang, nichts anderes getan hätte.“
„Eduard sieht zu, dass Christoph und Gudrun nicht über die Stränge schlagen. Ellen ist noch zu klein.“
„Onkel Pankraz freut sich auch. Er meint, die Kinder sollen sich ruhig hier im Garten austoben.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mi 05.Apr.2017 21:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 444

Beitrag von Andrea1984 »

„Warm angezogen, sind sie ja gottseidank.“, Dick rieb ihre Hände aneinander.
„Du hast wohl deine Handschuhe vergessen?“
„Ja, allerdings nur im Zimmer. Und ich bin zu bequem, sie extra zu holen.“
Dick wandte ihren Blick von Margot über das Geländers des Balkons zu den Kindern hinunter, die im Garten friedlich miteinander spielten. Bäume, Sträucher und Hecken gab es zuhauf. Leider blühten sie noch nicht, dafür war es wohl noch ein wenig zu früh, um diese Jahreszeit.
„Schade, dass es hier keine Sandkiste gibt. Christoph buddelt gerne im Sand.“
„Wenn er groß ist, wird er einmal Archäologe werden.“, griff Pankraz, der gerade durch die Türe auf den Balkon trat, den Gesprächsfaden auf. „Eine Sandkiste gibt es hier leider nicht mehr.“
„Dann kauf doch eine und stell sie hier auf. Oder ist es vom Platz her nicht möglich?“
„Ich müsste dazu einige Hecken oder Sträucher abreißen lassen. Das wäre doch schade darum.“

Dick musterte Pankraz unauffällig. Anstatt wie früher gerade zu gehen, wirkte seine Haltung gekrümmt. Mit der linken Hand stützte er sich auf einen kleinen, braunen Stock. Mit der rechten Hand hielt Pankraz galant die Balkontüre auf: „Lasst uns nach drinnen gehen. Ich habe Johanna gebeten, Tee aufzusetzen und Brötchen zu backen. Wer möchte, kann an der Teestunde teilnehmen. Wenn nicht, ist das auch kein Problem. Doch die Teilnahme am Abendessen ist Pflicht.“
„Ich trinke gerne einen Tee. Wo ist Eduard? Er möchte mir bestimmt gerne Gesellschaft leisten.“
„Draußen bei den Kindern, gemeinsam mit Rafe. Sieh nur, wie die beiden Herren auf der Bank sitzen und die Kinder im Auge behalten.“
„Wer ist die junge Dame neben deinem Cousin Christian?“, wollte Dick von Margot erfahren.
„Er hat sie mir zwar vorgestellt, aber ich habe mir nur ihren Vornamen: Antonia, gemerkt.“
„Vielleicht erfahren wir beim Tee oder beim Abendessen mehr darüber.“, meinte Dick. Sie verzichtete auf die Teestunde und beboachtete stattdessen ihre Enkelkinder, die sorglos im Garten herumtobten.

Beim Abendessen, an welchem die ganze Familie teilnahm, wurde das Geheimnis der jungen Dame gelüftet. Christian stellte sie als seine Verlobte Antonia vor und verriet, dass die Hochzeit für Ende August geplant sei. Hier auf dem Weingut, weil ihm die Atmosphäre so gut gefalle.
Der Hausherr hob das Glas, um nicht nur auf Rafe, sondern auf das verlobte Paar anzustoßen. Die übrigen Gäste taten es ihm gleich. Dick beobachtete, wie erst die jungen Leuten untereinander plauderten, ehe langsam die ältere Generation dazu kam, um Christian und Antonia zu gratulieren.

„Was sollen wir den beiden zur Hochzeit schenken?“, dachte Dick. „Ich werde mit Ralf darüber reden, so wie sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Er hat immer die besten Ideen. Allerdings ist es nicht sicher, ob Christian und Antonia uns überhaupt dazu einladen.“
Tatsächlich. Kaum, dass Dick dem jungen Paar die Hand geschüttelt hatte, wurde ihr sogleich eine Einladung zur Hochzeit in die Hand gedrückt.
„Onkel Ralf und du, ihr seid herzlich willkommen. Ich freue mich schon jetzt darauf.“
Dick wechselte einige Höflichkeitsfloskeln mit Antonia, deren blondes Haar in Bob-Länge, ähnlich wie bei der Schlagersängerin Mireille Mathieu geschnitten war und deren blaue Augen vor Glück strahlten.

„Unsere Flitterwochen werden wir auch hier verbringen. Wozu in die Ferne schweifen, wenn das gute so nahe ist.“, meinte Antonia mit ihrer sanften Stimme. „Außerdem verdiene ich als Sekretärin nicht das große Geld.“
„Ralf und ich, wir haben auch beide klein angefangen und uns erst nach und nach hochgearbeitet.“
„Vielleicht sollte ich mir deinen Onkel und deine Tante zum Vorbild nehmen, was meinst du dazu?“
„Ja, das ist eine gute Idee.“, stimmte Christian zu. „Immerhin haben es beide weit gebracht.“
Dick verschwieg allerdings die harten Jahre, in denen Ralf arbeitslos gewesen und sie zu Hause bei den damals noch kleinen Kindern gewesen war. Sie wollte das junge Glück nicht beunruhigen.
Mit einem Ohr hörte sie darauf hin, was ihr Christian erzählte, wo und wie er Antonia kennengelernt und um ihre Hand gebeten hatte.
„Nur um die Hand? Da wirst du aber nicht weit kommen.“, unterbrach Dick geschickt den Redefluss.
„Heute ist so ein schöner Tag, da lasse ich mir meine gute Laune nicht verderben.“
Antonia erzählte nun auch einiges über ihre Familie: Ihre Eltern lebten noch und sie hatte zwei jüngere Brüder. Der Vater arbeite als Kellner im Gastgewerbe, die Mutter sei Hausfrau vom Beruf.

Erst nach dem Abendessen konnte Dick mit Ralf in Ruhe im Gästezimmer unter vier Augen plaudern.
„Antonia gefällt mir. Vielleicht kann ich sie überreden, mir einmal Modell zu stehen. Nur so nebenbei.“
„Untersteh dich. Du kennst sie doch kaum. Warte lieber erst einmal ab. Oder brauchst du dringend ein neues Modell?“, wollte Dick wissen, während sie dabei war, sich für die Nacht umzukleiden.
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Kapitel 445

Beitrag von Andrea1984 »

„Ja, so ist es. Derzeit sind alle Mädchen oder junge Damen, die ich gerne als Modell gehabt hätte, nicht verfügbar. Woran das wohl liegen könnte? Hoffentlich nicht an meinen Zeichenkünsten.“
Dick verschwieg, dass vielleicht Ralfs vorgerücktes Alter daran schuld war.
Eine Weile plauderten Dick und Ralf noch miteinander, dann begaben sie sich zu Bett.

In dieser Nacht fand Dick keinen Schlaf. Ständig wälzte sie sich, wie ein Pferd im Paddock, von einer Seite auf die andere. Ralf lag auf dem Rücken, schnarchte wie ein Bär im Winterschlaf. Dick hingegen konnte kein Auge zutun.
„Ich werde es einmal mit Schäfchen zählen versuchen. Vielleicht hilft das ja.“
Dick zählte und zählte. Am Ende war sie, bevor sie sich verzählt hatte, auf 42 Schäfchen gekommen.
Den erwünschten Schlaf hatte ihr das Schäfchenzählen allerdings nicht, wie erhofft, gebracht.

„Vielleicht ist das Bett zu hart? Oder es liegt etwas unter der Matratze, das mich piekst? Ich werde gleich einmal nachsehen.“
Die Matratze war in Ordnung. Und die Qualität des Bettes auch, wie Dick anerkennend feststellte.
Ein Licht aufzudrehen wagte sie nicht. Lautlos schlüpfte Dick in ihre Pantoffeln und den Morgenmantel, tappte hinüber zum Fenster, öffnete es einen Spaltbreit, um frische Luft hereinzulassen. Auch dieses Mittel half nichts. Dick atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus.
Hastig schloss sie das Fenster wieder, weil ein Sturm mit Regen und Wind aufkam.

Dick streifte die Pantoffeln von den Füßen, legte den Morgenmantel ab und sich zu Bett. Aber der Schlaf wollte und wollte einfach nicht kommen.
„Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Eigentlich habe ich doch beides, wenn man einmal von meinem Verhalten gegenüber Dalli absieht. Ja, es ist nicht fair gewesen, wie ich sie damals behandelt habe. Eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als offen darüber zu reden.“

Der nächste Morgen war ein Sonntag. Immer noch regnete es in Strömen. Einige der Gäste reisten bereits kurz nach dem Frühstück wieder ab, da sie eine lange Fahrt vor sich hatten oder wieder arbeiten gehen mussten, so genau erfuhr Dick das nicht. Sie war froh, gemeinsam mit Ralf und auch Margot und deren Familie, noch einige Tage hier bleiben zu dürfen. Eigentlich wollte Dick schon am Sonntag abreisen, um Pankraz die schwere Arbeit, die er als Gastgeber hatte, nicht länger zuzumuten. Aber er bestand darauf, sie solle ruhig noch ein wenig hierbleiben. Und die Kinder machten ja auch keine Arbeit, nur nicht. Dick verzichtete auf einen Streit und gab nach.

„Ich weiß, dass ich mich eigentlich schonen müsste.“, sagte Pankraz. „Doch mir macht es soviel Freude, wenn Besuch hier ist. Besonders privater Besuch, wie Ralf und du. Wer weiß, vielleicht besucht Anna mich auch wieder einmal, wenn es John und ihre Söhne zulassen.“
„Ganz gewiss. Anna hängt sehr an dir, das hat sie mir einmal erzählt.“, meinte Dick, fast peinlich berührt. „Allerdings sind Eric und Tim noch sehr klein, um eine stundenlange Autofahrt zu schaffen.“
„Margot und Eduard haben es auch hinbekommen.“, hielt Pankraz dagegen. „Oder sind die fünf, ach nein sechs, etwa mit dem Zug angereist?“
„Das weiß ich gar nicht. Wenn es dir so wichtig ist, kann ich ja einfach danach fragen.“

Wenige Minuten später kam Dick zurück zu Pankraz ins Wohnzimmer, um Bericht zu erstatten.
„Ja, du hast recht gehabt: Margot und Eduard sind tatsächlich mit dem Auto hier her gefahren, haben jedoch länger als üblich gebraucht, weil sie immer wieder Pausen eingelegt haben.“
„Es tut immer gut, mal einen Gang zurückschalten zu können, Pausen einzulegen. Nicht nur bezogen auf das Auto fahren, sondern allgemein gesagt.“, Pankraz lächelte milde.
„Willst du damit sagen …?“
„Ich will gar nichts, Kind. Du hörst ja das Gras wachsen. Aber: Scherz beiseite. Eine Pause ab und zu, täte auch dir nicht schaden. Du siehst blass und müde aus. Ralf hat auch so etwas angedeutet.“
Dick öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder.
„Möchtest du es mir sagen? Wir sind unter uns.“
„Es ist alles in Ordnung, wirklich.“, log Dick, bemühte sich dabei, Pankraz offen in die Augen zu sehen, damit er glaubte, dass sie die Wahrheit sagte. „Darf ich ein Fenster öffnen? Es ist so warm hier.“
„Nur zu. Frische Luft ist gesund, doch das weißt du ja selbst.“
„Was hältst du davon, wenn wir, gemeinsam mit deinen Enkelkindern und vielleicht auch Rafe dazu, eine Runde spazierengehen?“
„Dazu muss ich erst Margot und Eduard fragen, ob das möglich ist. So genau kenne ich die Bedürfnisse ihrer Kinder ja nicht.“, redete Dick sichtlich nervös um den heißen Brei herum.
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Kapitel 446

Beitrag von Andrea1984 »

Nach dem Spaziergang, an dem nicht nur die Kinder, sondern auch Margot, Eduard und Pankraz teilgenommen hatten, fühlte sich Dick schon etwas besser und dachte, dass sie keinen Grund dazu habe, traurig oder depremiert zu sein, wo es doch anderen Menschen viel schlimmer ginge. Mitte der Woche reisten Margot, Eduard und die Kinder aus Eltville nach Lübeck ab. Eduard war selbständig, genau wie Ralf, konnte daher seine Firma und die wenigen Mitarbeiter nicht lange alleine lassen.

Gegen Ende der Woche wurde Dick von Pankraz zu einem persönlichen Gespräch in sein Büro gebeten. Dick war auf alles gefasst oder glaubte es zumindest zu sein. Aber das, was dort geschah raubte ihr beinahe den Atem. Eine Weile sprach Pankraz nur über das Wetter und über den Alltag. Er schien es nicht eilig zu haben, worüber er eigentlich reden wollte. Dick hingegen rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Ihr Magen knurrte, da sie an diesem Tag nur ein karges Frühstück zu sich genommen hatte. Einfach so etwas aus der Speisekammer oder dem Kühlschrank zu holen, das war undenkbar, weil es gegen alle guten Sitten der Gastfreundschaft verstieß. Dick wusste das genau.

„Was hältst du von diesem Angebot?“, stellte Pankraz die Frage.
„Ich muss darüber nachdenken. Darf ich mit Ralf alles besprechen?“
„Natürlich. Ihr habt doch sowieso kaum Geheimnisse voreinander. Und es ja nicht so, dass ihr die Entscheidung von heute auf morgen treffen müsst. Ich lasse euch selbstverständlich Zeit.“
„Warum gerade ich?“, Dick verstand die Welt nicht mehr. „Es gäbe noch soviele andere …“
Pankraz schnitt ihr das Wort ab: „Weil ich dich am liebsten habe. Das ist der Grund.“
„Womit habe ich das verdient?“, hakte Dick nach, die es offenbar nicht fassen konnte.
„Mit Glück und Tüchtigkeit. Das Leben in der Stadt ist nichts für dich. Du fühlst dich am Land viel wohler. Und hier oben über dem Fluss ist es doch beinahe ländlich.“
„Mir gefällt es hier sehr gut, das ja. Allerdings nur, solange ich als Gast hier bin. Als Hausfrau …“
„… hättest du mehr Pflichten, aber auch mehr Rechte.“, unterbrach Pankraz ein weiteres Mal. „Ich selbst brauche nichts mehr zum Leben, außer einer kleinen Kammer und einem Bett. Die Stiftung wird bestehen, solange ich lebe. Erst nach meinem Tod wird all das Vermögen von der Stiftung und mein Privatvermögen zusammengelegt werden.“
„Wie bist du eigentlich so reich geworden?“, wollte Dick wissen. Jetzt oder nie.
Pankraz hob eine Augenbraue: „Möchtest du das wirklich wissen?“
„Ja und zwar von ganzem Herzen. Irgendwie habe mich bisher nie getraut, dir diese Frage zu stellen.“
„Und du meinst, dass es heute passend ist. Nun ja, einmal muss es ja raus. Dir vertraue ich.“

Pankraz stand auf, ging an seinem Schreibtisch vorbei, nahm Dick bei der Hand: „Komm, lass uns ins private Wohnzimmer gehen. Dort redet es sich leichter. Hab keine Angst, dass uns jemand belauschen könnte. Ralf malt oder zeichnet und ist so darin vertieft. Er vergisst alles um sich herum.“
Dick nahm das Angebot gerne an. Und war froh, das steif wirkende Arbeitszimmer, das mit den dunklen Möbeln und den schweren Vorhängen, die beinahe von der Zimmerdecke bis zum Fußboden reichten, düster wirkte, verlassen zu können.

„Ein Teil des Vermögens ist mir, nur im übertragenen Sinn, in die Wiege gelegt worden. Schon meine Eltern und, soweit ich weiß, auch meine Großeltern väterlicherseits - über die Großeltern mütterlicherseits ist mir nur wenig bekannt - sind reich gewesen. Einen weiteren Teil hat meine Frau, von der ich längst geschieden bin, in die Ehe mitgebracht. Dank eines Ehevertrages gehört nun ihre Mitgift mir. Und den „kleinen Rest“ habe ich mir durch ein geschicktes Händchen an der Börse erworben. Vieles von dem Geld steckt nun seinerseits in Häusern, Wohnungen, aber auch in einigen Aktien und Fonds.“
„Und in der Yacht in Saint Tropez?“, neckte Dick.
Pankraz lachte: „So ungefähr, ja. Nur was bringt mir eine Yacht, wo ich doch schon beim Anblick eines Dorfteiches seekrank werde. Ferner ist das Geld auch in Stahl, Kohle und Öl gut angelegt.“
„Etwas hättest du beinahe vergessen.“
„Ach ja, den Fuhrpark, richtig. Allerdings fahre ich inzwischen nicht mehr so gerne mit dem Auto.“

„Ethelbert hat das gewusst?“
„Nein, nein.“, winkte Pankraz ab. „Ihn hat es nicht interessiert, wo das Geld herstammt, sondern nur, dass ich welches habe und wie. Dabei ist er selbst in ähnlich guten Verhältnissen aufgewachsen.“
„Geld alleine macht nicht glücklich.“
„Kein Geld zu haben, noch weniger. Oft kann ich nachts nicht schlafen, weil ich Angst vor Einbrechern oder Entführern habe. Das Hauptgebäude und die Nebengebäude sind zwar mit einer Alarmanlage gesichert, aber ich traue dieser nicht so ganz über den Weg.“, bekannte Pankraz offen.
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Kapitel 447

Beitrag von Andrea1984 »

Während des Mittagessens musste Dick nicht nur jenes, sondern auch die Neuigkeit buchstäblich verdauen und sprach daher nur wenig. Ralf hingegen redete umso mehr. Er könne das alles kaum fassen. Und ob sich Pankraz das wirklich gut überlegt habe? Pankraz meinte, er sei geistig gut bei Sinnen und wisse daher genau, was er zu tun und zu lassen habe. Man müsse nur noch zum Notar gehen, um die Formalitäten zu erledigten, damit alles seine Ordnung habe. Eine Zugabe gäbe es obendrein, nämlich die Haushälterin Johanna, die gerne weiter hier leben und arbeiten wolle.

Kurze Zeit darauf wurden die Pläne in die Tat umgesetzt, zumindest das Unterschreiben der Verträge. Mit einer Übersiedlung von Lübeck nach Eltville eilte es ja nicht. Auf besonderen Wunsch von Pankraz durfte Dick auch Alexander einweihen, dem sie die Neuigkeit per Brief kundtat. In dem Antwortbrief stand, sinngemäß zitiert, es sei alles recht und er, Alexander, habe dazu nichts weiter zu sagen. Den Kindern und den Pferden gehe es gut, was mit Dalli sei, wisse er nicht und wolle er nicht wissen.

In diesem Jahr gab es praktisch keinen Frühling. Erst schneite und regnete es bis Mitte April hinein. Ende April schlug das Wetter, über Nacht, um, der Schnee schmolz und die Temperaturen stiegen bald schon zur 20-Grad-Marke hinauf. Dick selbst fiel die Umstellung auf das warme Wetter relativ leicht, aber Margot, deren Schwangerschaft sichtlich fortgeschritten war, weniger. Dick bot daher an, entweder die Kinder hier oder drübern im Haus zu hüten, wie es besser passe. Margot und Eduard hatten tatsächlich ein Haus am Stadtrand von Lübeck erworben, nahezu vollständig möbliert. Die Vorbesitzerin war gestorben und die Erben konnten oder wollten das Haus nicht übernehmen.
Margot meinte, es sei besser, im Haus zu bleiben, anstatt täglich hin und her zu fahren. Und die Wohnung sei viel zu klein, um darin drei Kinder beaufsichtigen zu können. Dick fügte sich.

Der Sommer verging rasch. Am 25. August wurde Margot von ihrem vierten Kind entbunden. Diesmal war es ein Junge, welcher den Namen Hermann erhielt und seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Margot meinte scherzhaft, sie wolle am liebsten ein halbes Dutzend Kinder haben, allerdings nur bis zu ihrem 30. Geburtstag, dann sei sie zu alt dafür.
„Das schaffst du ja doch nicht.“, meinte Dick. „Wer soll deine Kinder alle betreuen?“
„Na ich. Das ist doch meine Aufgabe.“, Margot strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während sie ihren jüngsten Sohn in den Armen hielt. „Eine Kinderfrau einstellen, das ist nicht mehr zeitgemäß.“
„Da würde dir Billy etwas husten. Sie hat immer viel zu tun und ist froh, wenn sie die Kinder ab und an, der Kinderfrau überlassen kann.“
„Lass dir mit dem nächsten Kind noch etwas Zeit. Dein Körper muss sich von den Strapazen der Schwangerschaft und der Geburt erholen. Ich mache mir Sorgen um dich.“
„Eduard sagt das auch. Nun ja, ihr habt beide schon recht damit. Jetzt sind mal wieder andere mit dem Kinder kriegen dann: Anna oder Billy zum Beispiel.“
„Also ich weiß nichts davon, dass eine der beiden schwanger ist.“, gab Dick offen zu.
„Warten wir ab. Noch ist das Jahr 1993 nicht um. Ich vermute, dass entweder Anna oder Billy oder vielleicht beide bald wieder schwanger werden.“

Dick staunte, als Margots Vermutung richtig war, zumindest in Bezug auf Billy, die Ende November eine neuerliche Schwangerschaft verkündete. Diesmal sollte es im Mai des kommenden Jahres soweit sein.
„Sitzt du bequem?“, erkundigte sich Billy am anderen Ende der Telephonleitung.
„Nein, ich stehe. Warum?“
„Weil es dich vermutlich gleich umwerfen wird.“
„Gut, dann setze ich mich lieber.“, Dick schlenderte, mit dem Handy in der Hand, hinüber ins Wohnzimmer, nahm auf dem Sofa Platz. „Nun, ich höre.“
„Es werden wieder Zwillinge.“
„Was sagst du? Ich verstehe dich schlecht, es rauscht so in der Leitung.“
Billy wiederholte ihre Botschaft.
„Wie ist das möglich?“
„Gute Gene, würde ich sagen. Ich kann es selbst kaum fassen, doch es ist tatsächlich so.“

Zwei Wochen später trafen sich Dick und Billy in Lübeck, alleine, da ihre Männer arbeiten mussten.
„Tatsächlich. Der Bauch ist ungewöhnlich groß für diese Zeit.“
„Ich bin jetzt in der 16. Woche. Mir kommt es vor, als wäre ich schon deutlich weiter.“, Billy seufzte. „Was habe ich mir da nur eingebrockt. Jammern hilft nichts, das sehe ich jetzt ein.“
„Komm, lass uns eine Runde auf dem Weihnachtsmarkt spazieren gehen und vielleicht auch eine heiße Schokolade trinken, die hier immer besonders gut schmeckt. Ich lade dich ein.“, bot Dick an.
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Kapitel 448

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„Mir ist heute nicht nach ausgehen. Das muss ich mit Heinrich oft genug. Ich möchte lieber in Ruhe auf dem Sofa sitzen, die Beine hochlegen und einfach mal durchatmen können.“
„Wenn’s weiter nichts ist. Den Wunsch erfülle ich dir gerne.“
Als gute Hausfrau wusste Dick, was sich gehörte und bot Billy etwas zu trinken und zu essen an. Nur eine Kleinigkeit, da der Kühlschrank beinahe leer war. Tee und dazu belegte Brote.
Billy biss in das erste belegte Brot, meinte dann, dass es ihr köstlich schmecke.
„Das freut mich. Möchtest du dir Photos ansehen? Oder wird dir das zu anstrengend?“
„Photos? Keine Zeichnungen.“
„Ja, echte Photos. Hier stehen einige Photoalben, nach Daten und nach Ereignissen geordnet.“
„Worum handelt es sich bei diesem dunkelbraunen Photoalbum, das sich am rechten Rand des Bücherregals befindet?“
„Darin sind Bilder einer Hochzeit. Genauer jene von Christian und Antonia.“, antwortete Dick und fügte die Erklärung der angeheirateten Verwandtschaft an.

„Wie schmal Antonia doch ist.“, meinte Billy, während sie das Photoalbum behutsam durchblätterte, nur mit den Fingerspitzen berührte. „Allerdings wird sich das bald ändern, wenn sie erst einmal Kinder bekommt.“
„Spricht da Neid oder Missgunst aus dir? Das ist doch sonst nicht deine Art.“
„Ich halte meine Figur nur dank Yoga und Gymnastik und gelegentlichem Schwimmtraining in Form. Ansonsten würde ich auseinander gehen wie ein Hefeteig.“, Billy legte das Photoalbum beiseite.
„Das ist also das Geheimnis.“
„Apropos Geheimnis: Ich habe da noch etwas auf dem Herzen. Eigentlich ist es kein Geheimnis mehr, wenn ich darüber rede. Doch jemandem muss ich es anvertrauen.“
Dick versicherte, sie könne zuhören und, was noch viel wichtiger sei, schweigen.
„Heinrich fährt im nächsten Jahr zu einem Ärztekongress in die Schweiz. Das ist ja durchaus in Ordnung und ein Teil seines Berufs. Normalerweise würde ich gerne mitkommen, doch jetzt hat mich die neuerliche Schwangerschaft daran gehindert.“
Dick verstand zunächst nicht, worauf Billy hinauswollte.
„Möchtest du, wenn es deine Zeit zulässt, in diesen Wochen zu mir auf den Erlenhof kommen? Ich brauche Unterstützung im Haushalt und vielleicht auch bei den Kindern, je nach dem.“
„Ach du meinst, Heinrich ist genau Ende Mai unterwegs.“
„Du sagst es. Der Termin steht schon seit langem fest und kann daher nicht verschoben werden.“
„Was ist mit Nathalie?“
„Ethelbert und sie werden in dieser Zeit auf Urlaub sein. Auch das haben sie bereits von langer Hand geplant. Nun wird die Verantwortung für das ganze Gut auf meinen schmalen Schultern liegen.“

„Ich werde es mir überlegen.“, hielt Dick die Antwort offen. Einerseits wollte sie Billy gerne helfen, andererseits konnte sie Ralf nicht im Stich lassen.
„Heinrich ist inzwischen zum Facharzt befördert worden. Er darf nun seinerseits neue Ärzte ausbilden.“, plauderte Billy munter drauflos. „Wenn ich zum Bäcker gehe, sprechen mich einige ehrfurchtsvoll mit „Frau Doktor“ an, obwohl ich doch gar nichts geleistet habe und nur mein Mann diesen Titel trägt. Mit der Zeit habe ich es aufgegeben, die Leute darauf hinzuweisen.“
„Frau Doktor, das klingt so respektvoll. Wenn es das auch hier gäbe, wäre ich so etwas wie Frau Kunstmaler.“
Billy schmunzelte: „Ja, auch das hat doch was.“
„Nimm dir ruhig noch ein Brötchen, es sind ja genug da. Ralf kommt erst später aus der Firma. Entweder zum Mittagessen oder zum Abendessen, je nachdem wieviel Arbeit er hat.“
„Das ist jedesmal anders, stimmt’s?“
„Du sagst es. Hat sich was, mit festen Arbeitszeiten, freien Wochenenden und ruhigen Feiertagen.“
„Heinrich weiß oft zwei oder drei Monate im Voraus, wann er arbeitet und wann er freie Tage hat. Dementsprechend kann er länger vorausplanen, wenn er etwas mit mir oder mit den Kindern unternehmen möchte. In dieser Woche hat er nur Nachtdienste, dann zwei Tage frei, um aus dem Nachtrhythmus herauszukommen und anschließend zwei Wochen Tagdienste am Stück.“

„Ab und an haben Ralf und ich auch nachts gearbeitet. Mit der Zeit sind wir beide allerdings in dieser Hinsicht kürzer getreten.“, Dick stand auf. „Darf ich dich kurz alleine lassen? Ich glaube, das Handy hat geklingt, aber ich bin mir nicht ganz sicher. An dieses neumodische Zeug gewöhne ich mich nie.“
„Natürlich. Das ist doch klar. Bezogen auf das alleine lassen. Ich stehe dem neumodischen Zeug, wie du es nennst, durchaus positiv gegenüber. Heinrich verwendet sowohl beruflich, als auch privat einen Computer und hat auch mir bereits einige Tipps im Umgang damit gegeben, was mich sehr freut.“
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Andrea1984
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Kapitel 449

Beitrag von Andrea1984 »

Dick ging hinüber in Ralfs Arbeitszimmer, wo das Handy auf dem Tisch lag. Stumm.
Dick nahm das Handy in die Hand, schob es nach oben, um feststellen zu können, ob jemand angerufen hatte. Nein. Allerdings war der Akku fast leer. Dick öffnete eine Klappe am Rand und verband das Handy mit einem Akkustecker, der ans Stromnetz angeschlossen war. Vermutlich hatte das Handy wegen des Akkus gepiepst oder einen ähnlichen Ton von sich gegeben.

„So ein Teufelszeug wird mir nie auf den Immenhof kommen.“,schwor Dick, nun wieder zurück im Wohnzimmer.
„Schwör nicht.“, Billy grinste. „Abgesehen davon kannst du dich der modernen Technik nicht länger verschließen. Wir leben immerhin bald im 21. Jahrhundert.“
„Wie denkt dein Vater darüber?“
„Über das Fortschreiten der Zeit oder jenes der Technik?“, hakte Billy nach.
„Beides. Ich habe ihn schon länger nicht mehr kontaktiert.
„Es geht ihm gut. Allerdings ist er im Stress.“
„Haben Henny und Chrissy damit zu tun? Die müssten doch schon in der Pubertät sein?“
„Gut gerechnet. Henny ist im September 18 geworden und Chrissy im April 16. Vati meint, dass Henny relativ pflegeleicht gewesen ist, während Chrissy einen Dickkopf wie ein Fohlen hat.“
„Dallis Gene lassen sich nicht verleugnen, oder was meinst du dazu?“, wollte Dick wissen.
„Oder vielleicht die Gene deiner äh Dallis Eltern, wie auch immer.“
„Das wäre auch eine Möglichkeit, die ich zuerst gar nicht in Betracht gezogen habe.“

Billy verriet, Alexander sei aus einem anderen Grund mehr im Stress: „Fräulein Eversen. Sie bedrängt ihn, weil sie unbedingt noch ein Kind von ihm haben möchte. Weiß der Geier warum.“
„Es geht dich nichts an, ob und was zwischen deinem Vater und ihr passiert.“
„Ich mache mir Sorgen um Vati, das ist alles. Er verrennt sich in sein Unglück.“
„Sie ist ihm treu, das muss man ihr lassen.“
„Ja, wer hätte das gedacht.“, Billy hob und senkte die Schultern. „Lassen wir das Thema auf uns beruhen. Bobby hat mir einiges erzählt, dass sie mit Fräulein Eversen einen näheren Kontakt hat.“
Dick biss sich auf die Lippen.
„Du auch noch? Ja bin ich denn im falschen Film.“
„Reg dich nicht auf. Das schadet deinem Blutdruck und den Babys auch. Warum soll ich nicht mit Sigrid befreundet sein? Außer Bobby und mir hat sie keine Freude.“
„Von mir aus. Glaubt beide, was ihr wollt. Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“

Dick winkte mit der linken Hand ab, wechselte dann elegant das Thema.
„Wie geht es deinen Schwiegereltern?“
„Ganz gut. Ich habe nach wie vor Schwierigkeiten meine Schwiegermutter zu duzen, obwohl sie es mir angeboten hat.“
„Mach es doch einfach. Deinen Schwiegervater darfst du sicher auch duzen?“
„Ja, das ist von Anfang an so gewesen. Ich mag ihn gerne, doch Vati ist mir natürlich lieber.“
Billy biss in ein weiteres Brötchen, wischte sich dann die Finger an der bereitgelegten Serviette ab.
„Ich esse dir noch die Haare vom Kopf.“
„Da kommst du zu spät. Das haben bereits Rafe und Anna lange vor dir erledigt.“, konterte Dick.
„Na dann werde ich mit den Haaren vom Kopf essen eben bei Ralf versuchen, der hat viele davon.“

Dick versprach nun, tatsächlich Ende Mai des kommenden Jahres zum Erlenhof zu reisen. Sicherheitshalber schon Mitte Mai, falls die Babys, die sich gut entwickelten, vor dem errechneten Termin das Licht der Welt erblicken wollten. Bis dahin sollte allerdings noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, der ja nur sehr selten zufror.
„Danke für deine Hilfe. Ich freue mich sehr darüber.“
„Das ist doch selbstverständlich.“, wehrte Dick das Lob von Billy beinahe verlegen ab.
„Wir können jederzeit miteinander telephonieren, aber das ist leider so teuer.“
„Briefe schreiben wäre billiger, dauert jedoch länger.“
„An Weihnachten, genauer am zweiten Weihnachtsfeiertag sind Heinrich und die Kinder und ich bei Vati eingeladen, genau wie Bobby und ihre Familie. Wenn die Zeit doch nur schneller vergeht.“
„Wünsch dir das lieber nicht. Genauso habe ich früher auch gedacht. Und nun stelle ich fest, dass die Tage und die Wochen nur so verfliegen und mir allmählich die Zeit zu knapp wird, für all das, was ich noch vorhabe.“
„Vielleicht sehe ich das auch ein, wenn ich in deinem Alter bin.“, zeigte sich Billy von einer ungewohnt nachdenklichen Seite, was eigentlich weniger ihrer sonst so temperamentvollen Art entsprach.
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Kapitel 450

Beitrag von Andrea1984 »

„Möchtest du dir noch weitere Bilder ansehen?“, fragte Dick, wies mit der rechten Hand auf ein blaues Photoalbum das auf dem Beistelltisch lag.
„Ja, gerne. Das sind die Bilder von Ralfs Geburtstag, stimmt’s?“
„Nicht irgendein Geburtstag: Ralf ist 60 Jahre alt geworden, doch das weißt du schon.“
„Ich habe mit ihm am Ehrentag kurz telephoniert.“, gab Billy offen zu. „Woher nimmt Ralf nur die Kraft und die Energie, um einerseits so hart zu arbeiten und andererseits das Leben zu genießen?“
„Vielleicht von seinem Vater? Der ist inzwischen über 100 Jahre alt und geistig topfit.“
„Körperlich bestimmt besser, als ich derzeit mit meinen 94 cm Bauchumfang. Was tut man nicht alles, damit es den kleinen Rackern da drinnen gut geht, obwohl man sich oft wie die Henne unter dem Schweif fühlt.“
Dick konnte es nicht fassen, was Billy da erzählte. Also holte sie ein Maßband, um die Behauptung nachzuprüfen. Tatsächlich.
„Bei der ersten Zwillingsschwangerschaft habe ich nicht soviel zugelegt. Diesmal liegen beide eher vorne, anstatt hinten, was ich deutlich spüre. Laut einer Studie ist das genetisch bedingt, wenn man selbst ein Zwilling ist, dass man eher welche bekommt. So gesehen hat Bobby direkt Glück gehabt, dass sie, trotz ihrer vielen Schwangerschaften kein zweites Mal Zwillinge erhalten hat.“

Für eine Weile war es ruhig. Billy blätterte im Photoalbum, nickte ab und an, als ob ihr eines der Bilder besonders gut gefallen würde.
„Möchtest du mit mir einkaufen gehen? Wenn nicht, dann kannst du auch gerne alleine hier bleiben.“
Billy schien so vertieft in das Blättern zu sein, dass sie erst reagierte, als Dick die Frage zum zweiten Mal stellte.
„Solange wird es schon nicht dauern. Ich bleibe gerne hier.“
„Die Brötchen sind leider alle. Doch etwas Wurst müsste noch im Kühlschrank sein. Wo du Apfelsaft oder Wasser findest, weißt du ja. Ich bin gleich wieder da.“

Dick kaufte nur das nötigste ein, da sie Billy nicht zu lange alleine lassen wollte. Nach ihrer Rückkehr in die Wohnung, stellte Dick fest, dass Billy eingeschlafen war und sich auf dem Sofa ausgestreckt hatte.
„Das liegt nur an der Schwangerschaft. So schnell werde ich normalerweise nicht müde.“, Billy gähnte, rieb sich die Augen. „Ist es schon so spät? Ich muss Heinrich anrufen, damit er sich keine Sorgen zu machen braucht.“
„Möchtest du hier übernachten? Oder ist dir das zu kurzfristig? Heinrich muss arbeiten und deine Kinder sind ja in der Obhut der Kinderfrau.“
Billy antwortete, dass sie das Angebot sehr gerne annahm. Dann zog sie ein Handy sus ihrer Handtasche, um Heinrich anzurufen. Dick bereitete währenddessen das Abendbrot zu.

Nach dem Abendbrot saßen Dick und Billy am Tisch des Raumes, der früher Rafes Zimmer gewesen war und nun als Esszimmer diente. An den Wänden hingen Bilder berühmter Maler. In einer der Ecken stand eine Topfpflanze, die langsam, aber stetig nach oben wuchs und beinahe das Fenster erreicht hatte.
„Ich muss dir noch etwas wichtiges mitteilen.“, Billy rutschte auf ihrem Stuhl herum.
„Musst du auf die Toilette?“
„Nein, das ist es nicht. Es handelt sich um Dalli.“
„Was hat sie denn nun schon wieder angestellt?“
„Einiges und das schlimmste ist, sie wird ihre Pläne alle umsetzen können, da es niemanden gibt, der sie daran hindert.“
„Handelt es sich um den Immenhof?“, wollte Dick wissen.
„Auch. Indirekt.“
„Wie darf ich das verstehen?“, verwundert hob Dick eine Augenbraue.
Billy legte eine Hand auf ihren Bauch, schien offenbar das Klopfen der Babys zu spüren.

„Also es ist so: Wenn ich diese ganze Erbfolge richtig verstanden habe, dann steht Rafe an erster Stelle und dann erst Anna und Margot mit ihren jeweiligen Kindern?“
„So ist es. Derzeit würde also Annas ältester Sohn alles erben.“
„Wenn Rafe also heiratet und dann ein Kind hat, ist dieses der nächste Erbe?“
„Auch wieder richtig. Ein außereheliches Kind würde Rafe nichts bringen, da nur die direkte, eheliche Erbfolge gilt. Das ist seit beinahe 250 Jahren so, warum soll daran gerüttelt werden.“
Billy kramte in ihrer Handtasche herum, zog einen weißen Briefumschlag heraus, reichte ihn Dick.
„Da steht alles wichtige drinnen. Ich bin selbst geschockt gewesen, als ich das gelesen habe.“
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